Es war einer dieser nebelverhangenen Tage im Oktober, als ich durch die Straßen der Stadt wanderte. Dort erblickte ich sie zum ersten Mal, diese geheimnisvolle Schönheit. Seit ich sie sah – unter dieser flackernden Laterne, als der Oktobernebel die Welt in Schleier hüllte – ist alles anders. Sie stand da, als hätte sie auf mich gewartet. Mollig, mit schwarzem Haar, das wie nasses Samt über ihre Schultern fiel. Ihr Mund war tiefschwarz geschminkt, wie ein Schnitt durch die Realität. Und ihre Augen … ihre Augen waren keine Augen. Sie waren Tore – Tore zu etwas Altem, etwas Hungrigem. Ich hätte weglaufen sollen. Ich wusste es. Aber ich blieb stehen. Und ich sah sie an. Sie stand reglos unter dieser Laterne, das Licht flackerte über ihr Gesicht, das zugleich fremd und vertraut wirkte. Ihre Augen – tief, schwarz, wie zwei Brunnen ohne Boden – zogen mich an wie ein Fluch, der sich als Sehnsucht verkleidet hatte.
Sie ging mir nicht mehr aus dem Sinn und geisterte die nächsten Stunden noch durch meinen Verstand. Es war längst tiefste Nacht geworden, als ich begann sie zu skizzieren. Immer wieder. Ihre Silhouette, ihre Augen, ihr Mund. Meine Farben wurden dunkler, meine Linien verzerrter. Sie ging mir tagelang nicht mehr aus dem Sinn. Immer wieder suchte ich die flackernde Laterne auf, doch sie war nicht mehr dort. Freunde fragten, ob es mir gut ginge. Ich log. Ich sagte, ich sei inspiriert. In Wahrheit war ich besessen.
Eine Woche später war sie wieder dort, ich schaute ihr in die Augen. Und sie blickte zurück, sah mich an und fixierte mich, während ihr Mund mich leise zu ihr rief. Aber wenn sie mich ansah, war ich verloren. Ich fühlte mich wie ein Kind, das in einem Traum ertrinkt. Sie lächelte. Es war das erste Mal, dass ich Angst hatte.
Mit einer rauchigen und zugleich verführerischen Stimme lockte sie mich heran und sprach zu mir. Sie lächelte mich mit ihren schwarzen Lippen an und sagte, dass sie am nächsten Abend auf mich warten wolle, wenn ich es ernst meinte. In dieser Nacht träumte ich wieder von ihr. Von Wäldern, in denen keine Vögel singen. Von Brunnen, die flüstern. Von Schatten, die meinen Namen kennen. Und immer wieder von ihren Augen. Ihre Stimme wie Rauch.
Es war in der Nacht vor Halloween, als sie mich bat ihr zu folgen. Ich tat es. Natürlich tat ich es. Sie nahm meine Hand in die ihrige und führte mich fort. Die Welt war still. Die Bäume schienen sich zu neigen, als wollten sie uns warnen. Sie führte mich zu einem alten Haus, überwuchert von Efeu und Zeit. Dort blieb sie stehen. Sah mich an. Beinahe schwebend öffnete sie die Tür und führte mich durch die Tür und einen dunklen Flur, bis zu einem Schlafzimmer, das von Kerzenschein erhellt wurde.
Behutsam führte sie mich zur Schlafstatt und zog mir dabei meine Kleider vom Leib. Völlig nackt und erregt lag ich da, als sie vor meinen Augen im Kerzenschein ihren voluminösen Körper enthüllte und sich langsam auf mich zu bewegte. Ich war in diesem Moment gefangen in diesem Anblick, der absolute Verheißung versprach. Und wir liebten uns, unsere heißen Körper verschmolzen und ich ergab mich in diese grenzenlose Leidenschaft.
Es war mir dabei egal, dass sie mich mehrfach biss und mit ihren langen Fingern tief kratzte, so dass ich immer mehr blutete und sich der Lebenssaft auf uns verteilte. Es war pure Hingabe, pure Lust, pure Leidenschaft. Und ich verbrannte in diesem Feuer.
Schließlich lag ich erschöpft auf meinem Rücken, während sie über meinem Schoß kniete und mich mit ihren dunklen Augen ansah. »Die Dunkelheit in meinen Augen ist hungrig. Und du hast sie genährt mit deiner Liebe.« Ich weinte. Nicht aus Angst. Aus Hingabe. »Dann soll sie mich ganz verschlingen«, antwortete ich wissend. Sie beugte sich nach vorne und kam meinem Gesicht immer näher. Und sie öffnete die Augen ganz. Ich fühlte nur noch wie ich fiel.
Ich weiß nicht, ob ich noch lebe. Vielleicht bin ich nur ein Gedanke in einem Bild, das niemand versteht. Vielleicht bin ich Teil der Dunkelheit in ihren Augen. Ich weiß nicht mehr, ob ich danach jemals noch einen Atemzug nahm. Aber ich möchte dich warnen, wenn du sie siehst – unter einer Laterne, mit schwarzem Haar und einem Mund wie ein Abgrund – dann schau nicht zu lange hin. Denn sie ist dort. Und sie wartet.

Dieses Bild entstand im Rahmen der Horror Art Serie, die sich dem künstlerischen Ausdruck des Unheimlichen widmet. Weitere Werke und Inspirationen sind auf der Themenseite zu entdecken.

Fotografie aus Leidenschaft
Michael Schneider ist Fotograf und Filmemacher aus Leidenschaft, mit einer Spezialisierung auf Tier- und Naturaufnahmen, Landschaftsfotografie und Portraitaufnahmen. Vornehmlich fotografiert er für sein privates Archiv, aber auch beruflich für Medienproduktionen und Projekte, Auftragsarbeiten und als freier Fotograf für Kunden.





